Die ökonomischen Analysen - wie ich sie von Frank Schäffler oder Holger Krahmer hören durfte - habe ich schon als klar und scharfsinnig empfunden. Viele Gegenargumente überzeugen mich hingegen überhaupt nicht. Etwa die Vorwürfe die Initiatoren seien "rechts", "europafeindlich" oder wollten "eine andere FDP". Auch die guten Ratschläge manches "politischen Vorbilds" hinterlassen mich eher ratlos. Mir ist da zu viel Pathos, ich nenne das Europaliberallala. Reflexhaft wird jede Kritik an "Brüssel" als antieuropäisch diskreditiert. Die angeblichen "Euro-Rebellen" haben nämlich in einem Gefühl recht: Gerade in Deutschland bestand Europapolitik hauptsächlich darin, gefühlsduselig Fähnchen mit blau-gelben Sternchen zu schwenken, während für andere Länder Europapolitik knallharte Interessenpolitik, gleichsam Teil ihrer Innenpolitik ist. Kritik an Brüssel, auch Kritik am Euro-Kurs, auch Kritik am Euro muss möglich sein. Brüssel und der Euro sind nicht Europa. Es gibt keinen dümmeren Satz als den von Angela Merkel "Fällt der Euro, dann fällt Europa". Insofern bewegt mich manche Einlassung eher dazu, mich emotional näher bei Frank Schäffler & Co als bei der Parteiführung zu fühlen, zumal deren Performance in den letzten zwei Jahren - die Umfragen zeigen es - hätte besser sein können.
So klar die ökonomischen Analysen der Rettungsschirm-Gegner sind. So Recht ihnen die Entwicklung der letzten Jahre auch auf dem ersten Blick geben mag. So unscharf sind aber auch ihre Vorstellungen jenseits des Nein zu den Rettungsschirmen. Jedenfalls ist ihre Verheißung, dass es mit ihrem Konzept eines großen Knalls besser wird, auch erst mal nicht mehr als ein schwer überprüfbares Versprechen, risikobehaftet zumal.
Ich werde nach reiflicher Überlegung für Antrag B des Bundesvorstandes stimmen. Aber nicht, weil ich Schäffler & Konsorten als rechts oder europafeindlich empfände - das sind sie nicht - und weniger weil auch sie keine wirklich überzeugende inhaltliche Problemlösung bieten. Mein Gedanke ist ein anderer: als Parteimitglieder befinden wir uns nicht in einem wissenschaftlichen Diskurs, der die Frage akademisch zu beantworten hat, ob Konzept A oder Konzept B das grundsätzlich überlegene ist. Sondern es sind rechtliche und politische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen und politische Antworten zu geben. So was nennt sich gemeinhin "Realpolitik". Das ist manchmal unbequem und oft schmerzhaft, denn es zeigt die Begrenztheit des eigenen Einflusses. Aber als politisch verantwortlich handelnder Akteur hat man zur Kenntnis zu nehmen, dass Deutschland zahlreiche europäische Verträge unterschrieben und damit ein Stück nationaler Souveränität abgegeben hat. 27 Länder verhandeln nun über einen Konsens. Sicherlich: Deutschland hat da mehr Einfluss als Zypern. Die FDP mehr Einfluss als die Piraten. Aber die Vorstellung, dass die FDP, trotz ihres Wahlergebnisses von 14 % und ihrer damit verbundenen 93 Sitze, 27 EU-Ländern und 17 EU-Ländern inklusive Koalitionspartner ein Nein zum ESM aufzwingt - in einer Situation, in der die EU-Staaten diesen schon weit gebracht haben, ist anmaßend oder zumindest naiv. Es geht dabei nicht darum den Einfluss der FDP kleinzureden. Die FDP ist auf die weitere europäische Entwicklung keineswegs einflusslos. Sie kann vor allem mit ihrer Bundestagsfraktion in der Koalition, über ihre Minister mit der Kanzlerin gemeinsam, rote Linien ziehen - wie sie es bei Eurobonds getan hat. Aber die Linien müssen realistisch und verhandelbar sein.
"Antrag A" versteht Politik hingegen als Kunst des Unmöglichen. Eine Umsetzungsperspektive der Inhalte ihres Antrags in "europäische" Politik bieten sie nicht. Ihre Antragsteller sind natürlich keine "Neurechte", sie verstehen sich eher als ordoliberale Variante einer Mischung aus Petra Kelly und Jutta Ditfurth. Aus einer redlichen, aber letztlich fundamentalistischen Sichtweise heraus, stellen sie die reine Lehre über das politisch Machbare. Den ESM werden aber höchstens die Märkte stoppen nicht die FDP. Übrigens auch dann nicht, falls anstelle von Angela Merkel und Philipp Rösler, Wolfgang Bosbach und Frank Schäffler in Brüssel verhandeln würden.
Eine Regierungspartei wie die FDP muss in ihren Beschlüssen nicht den europäischen Kompromiss oder einen Koalitionskompromiss vorwegnehmen. Aber Schäffler & Co haben uns keinen Entwurf für ein Grundsatzprogramm vorgelegt, sondern einen Antrag zu einem Mitgliederentscheid mit entschiedenem Aufforderungscharakter an die Bundestagsfraktion. Die Regierungspartei FDP kann nicht ernsthaft einen Antrag beschließen, der die Bundestagsfraktion dazu auffordert, den von der FDP-Führung selbst mit vorbereiteten Brüsseler Rettungsschirmen die Zustimmung zu verweigern. Anders als die Grünen etwa im Kosovokrieg, die Mut zur Realpolitik bewiesen haben, hätte sich damit die FDP endgültig als ernstzunehmende Regierungspartei diskreditiert.
Alle Beteiligten wissen, dass der Mitgliederentscheid die deutsche Haltung nicht ändern wird. Entweder werden die Bundestagsabgeordneten sich nicht an das Votum der Mitglieder halten. Dann könnte Merkel möglicherweise mit einer sich selbst zerlegenden FDP und einer FDP-Führung ohne jegliche Verankerung in der Partei weiterrumpeln. Oder der ESM sucht sich neue Mehrheiten ohne die FDP. Die FDP kann dann mit einer in ihrer Bedeutung marginalisierten und völlig unglaubwürdig gewordenen Spitze um Rösler und Brüderle in die nächste, möglicherweise sehr schnell stattfindende Wahl ziehen oder mit einem dann glaubwürdigen Bundesvorsitzenden Frank Schäffler. Das kann man ja alles nicht schlimm oder sogar gut finden. Aber man sollte schon einmal sagen, dass dies das Ende vom Lied sein wird.
Mein Eindruck ist: Die Tatsache, dass die Antragsteller des Antrags A eine so große
Resonanz erfahren, hängt auch mit der noch zu geringen Autorität - im
Sinne von Überzeugungskraft - der Parteiführung zusammen. Die Parteiführung, die liberalen Minister und die Bundestagsfraktion haben zulange gebraucht, sich an das Regieren zu gewöhnen. Sie können von Frank Schäffler lernen. Frank hat gezeigt, dass man als bei den Jungen Liberalen und in der Kommunalpolitik gut ausgebildeter Bundestagsabgeordneter, Profil gewinnen kann, wenn man das politische Handwerk versteht und einen Kompass hat. Ein bisschen mehr davon hätte der FDP gerade in der Anfangszeit gut getan. Man muss ja nur nicht gleich übermütig werden und glauben, die deutsche FDP könne gegen 26 andere EU-Staaten den ESM verhindern.
Die FDP sollte, auch wenn es bei diesem Koalitionspartner schwer fällt, zeigen, dass sie in der Koalition und und der Realpolitik angekommen ist.
Der Mitgliederentscheid ist kein gutes Ventil, um Ärger abzulassen.
Ich stimme mit Wut über die Autoren der europäischen Verträge, mit Wut über die Schuldenpolitik der Vergangenheit und mit Wut über die rotgrüne Koalition, die die Aufnahme Griechenlands wider besseren Wissens ermöglicht hat - und ich ergänze: mit Wut über den versemmelten Start meiner Wunschkoalition - mit dieser Wut im Bauch für Antrag B.