Mittwoch, 4. Mai 2011

Zwischenruf - die Kandidatenlage für das FDP-Präsidium zeigt: Die FDP hat nicht verstanden

Die derzeitige Kandidatenlage für das Präsidium der FDP ist alles andere als überzeugend. Das muss irgendwie auch Philipp Rösler gespürt haben als er vorgestern die Landesverbände um neue, weibliche Kandidaten bat.

Die Kandidatenlage ist sogar sehr schlecht. Das ist freilich weniger eine Geschlechterfrage. Dabei sind die einzelnen Kandidaten keine schlechten Leute. Neben dem Bundesvorsitzendenkandidaten Philipp Rösler wollen diese verdienten älteren und jüngeren Liberalen antreten:
  • Rainer Brüderle, ein wenig angeschlagen sicher, aber in der Vergangenheit mit besten Ergebnissen durch Parteitage legitimiert. 
  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Ikone der Rechtsstaatsliberalen, trotz unbestrittener Erfolge und inhaltlicher Substanz mit begrenzter Wählerwirksamkeit ausgestattet.
  • Dirk Niebel, durchaus erfolgreicher Entwicklunsghilfeminister, was freilich außerhalb der FDP kaum einer gemerkt hat.
  • Daniel Bahr, hochkompetenter Gesundheitsstaatsekretär, aber (noch) nicht der Typ, von dem sich die Menschen die Welt erklären lassen.
Fällt dabei etwas auf? Auf die 9 Präsidiumsplätze drängen schon einmal 5 Regierungsmitglieder, die in der Summe maßgeblich das aktuelle Erscheinungsbild der FDP mitprägen  und für dieses verantwortlich sind - 4 dieser nehmen übrigens bereits bisher an Präsidiumssitzungen teil.

Auch die anderen in der "Welt" genannten Kandidaten können sicher bei der Neuaufstellung der FDP helfen:
  • Dem designierten Schatzmeister Patrick Döring kann man auch mehr zutrauen als nur die Kasse zu führen, er ist zweifelsohne mit allen politischen Wassern gewaschen und hoch begabt in der Kunst der freien Rede, in der er sich freilich manchmal von sich selbst mitreißen lässt. Als Vorstand eines Versicherungsunternehmens passt er zu seiner neuen Funktion als Schatzmeister. Aber eigentlich ist er dort verschenkt. Er wäre ein besserer Vize als mancher Bundesminister, weil er FDP-Positionen auch mal pointiert darstellen kann, woran es - mit Verlaub - anderen genannten Kandidaten ein wenig mangelt.
  • Der Hesse Jörg-Uwe Hahn ist ein Verhandlungsprofi, der gezeigt hat, dass die FDP in Koalitionen mit der CDU auch gut aussehen kann. Außerdem beherrscht er die Kunst die Sache auch mal vom Ende herzu denken. So was nennt sich Regierungserfahrung und Politikfähigkeit - etwas was offenkundig in der bisherigen Führung zu wenig verbreitet war.
  • Am ehesten verspricht Holger Zastrow so etwas wie Aufbruch. Der streitbare sächsische Landesvorsitzende ist ein eigenständiger, kreativer Kopf, was sich etwa in einer "Herz statt Hartz"-Kampagne und seinem penetrant häufig bemühten "sächsischen Weg" zeigte. Die Eigenständigkeit ging bei ihm einst soweit, dass er als damaliger Vorsitzender der sächsischen Jungliberalen gewissermaßen von Wahl zu Wahl schauen wollte, ob die FDP wirklich der parlamentarische Ansprechpartner der JuLis sein soll. Darüber zerbrach 1996 fast der Jugendverband. Seine Sachsen-FDP war damals allerdings auch ein hartes Brot. Und die FDP war bundesweit in der Vor-Westerwelle-Zeit noch 3 Klassen schlechter aufgestellt als jetzt, was Spätgeborene nicht wissen können und viele alte Damen und Herren mittlerweile offenbar vergessen haben. In einer sehr reflektierten Rede zeigte Zastrow vor wenigen Tagen seine politischen Qualitäten und seine Reife. Auch wenn man nicht jede Einschätzung teilen muss.
Fazit: Zu einer Boygroup, in der Generalsekretär Christian Lindner, sakrosant und intellektueller Kopf ist, gesellen sich einige gestandene Liberale und der eine oder andere, der seinen Höhepunkt schon hinter sich hat. Vom Hocker reißt mich das in der Summe nicht. Dazu kommt, dass ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass Deutschland von einer Boygroup regiert (oder um das böse Wort zu gebrauchen:) geführt werden will. Die Österreicher haben für eine solche juvenile Führungsriege den schönen Begriff der "Buberlpartie" gefunden. Die wird übrigens auch dadurch nicht besser, wenn sie ggf. durch das ein oder andere Mädel ergänzt werden sollte, das nur seine Fähigkeit politisch darzustellen und zu präsentieren bewiesen hat, aber nicht die Fähigkeit zu denken, vorzudenken und zu lenken, eben auch mal was in der Partei durchzusetzen. Es ist sehr bedauerlich, dass - mit Ausnahmen - die vielen fähigen Frauen aus der JuLi-Generation Bahr/Döring/Zastrow heute nur noch im Berufsleben und nicht mehr der FDP aktiv sind (oder wenn dann eben nicht mit bundesweitem Anspruch).

In der Summe sind die genannten Kandidaten also politisch wenig sexy. Schlimmer: Die Kandidatenlage zeigt, dass die FDP nicht wirklich verstanden hat. Das zeigt sich vor allem an den althergebrachten und für die besondere Situation nicht angemessenen Auswahlmechanismen: Kommt Brüderle nicht, dann wird es Elke Hoff, liest man. Nicht weil sie gut ist (das weiß ich nicht), sondern weil sie - wie er - aus dem wichtigen Landesverband Rheinland-Pfalz stammt, der bedacht werden muss - wie einige andere auch. Während die FDP in einer existenziellen Frage ist, glauben maßgebliche Kräfte der Partei, ihren Vorstand nach überkommen Besetzungsriten der Landesverbandslogik austarieren zu können. "Der Vorsitzende nimmt die Vorschläge aus den Landesverbänden entgegen", liest man da. Es bleibt zu hoffen, dass Philipps berechtigter Hinweis auf den unverschämt geringen Frauenanteil auch das dümmliche, selbstzweckhafte und mechanische Besetzen nach Lokalproporz  und damit die Kriterien der Personalauswahl subtil hinterfragen sollte. Vielleicht war seine unschuldige Bemerkung der erste Weckruf.

Weitere müssen folgen: Die Mitgliederdatei der Liberalen weist immer noch rund 70.000 Mitglieder aus. 1971 meldete sich Karl-Hermann Flach, Chefredakteuer der Frankfurter Rundschau, "in den Dienste der Liberalen zurück". In einer solchen Notsituation wie diese jetzt eine ist wäre es jetzt Philipps Aufgabe als Vorsitzendenkandidat zwar nicht ein komplettes "Personaltableau" vorzulegen, das ist Unfug, aber einige interessante Kandidaten jenseits des Lokalpropozes und jenseits der Buberlpartie aus der Mitte der Mitglieder vorzuschlagen, die mehr relevantes Interesse erzeugen als der bisherige Mix. Es muss unter den 70.000 doch 1-2 Personen geben, die bereit wären Verantwortung zu übernehmen und ein solches Präsidium abzurunden: Menschen wie Bernd Buchholz, der ehemalige Schleswig-Holsteinische Landtagsabgeordnete, der  im "Schubladenuntersuchungsausschuss" seinerzeit "bella figura" machte und heute Vorstandsvorsitzender bei Gruner & Jahr ist. Nicht bei allen wird es in die momentane Lebenssituation passen. Aber es gibt sie sicher diese Menschen, die politische Erfahrung haben, aber mittlerweile sich wo anderes - in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur - ihre Meriten verdient haben. Aber vielleicht auch ein Stück Erfüllung dabei empfinden, der Liberalen Sache zu helfen - selbst wenn es sich nicht für sie finanziell lohnt. Vielleicht findet sich da auch jemand, der dem chronischen Versagen der FDP abhilft in ihrer eigenen Kernkompetenz, der Wirtschaftspolitik, einen anerkannten Fachmann hervorzubringen, mit dem die FDP wieder ökonomische Debatten prägen kann, mit dem sie wieder eine intellektuelle Meinungsführerschaft erzielen kann, der den Menschen Wirtschaft erklärt. Denn das Hauptproblem der FDP in der Regierung ist, dass ihre Hauptmatadore bislang nicht erforderliche Problemlösungskompetenz ausstrahlen.

Neu rangehen, nachdenken und nicht immer an die Immergleichen wäre daher jetzt angesagt.

Einen brauchen wir für den Neuanfang freilich ganz sicher nicht: Wolfgang Kubicki, Wadenbeißer vom Dienst, soll bitte schön in Schleswig-Holstein bleiben. Nicht nur wegen dieses Interviews ist bei Kubicki immer eine hohe Dosis Fremdschämen angesagt. Auch wenn er in seiner ungebremsten und oft wenig konstruktiven Meckeritis dann doch mal ins Schwarze trifft.