Mittwoch, 28. November 2012

Abstimmung über Zeitreisen, die Piraten und ihr Offenbacher Schiff

Ich bin immer wieder stolz, wenn ich Artikel von Piraten-Parteitagen lese, denn meist werden sie mit meinem lieben Stadtverordnetenkollegen Gregory Engels bebildert, wie hier beim Bericht über den jüngsten "Gaga-Parteitag" (Bild-Zeitung), bei dem u.a. über "Zeitreisen" diskutiert wurde.

Es wäre jedoch zu kurz gesprungen, diese Partei auf solche abstrusen Diskussionen zu verengen. Denn es gibt den Piraten durchaus intelligente, engagierte, hochpolitische Menschen. Gut, dass die sich engagieren. Der häufig bemühte Vergleich zur Gründung der Grünen mit ihren Chaos-Parteitagen greift aber ebenfalls zu kurz. Die Grünen hatten Ende der 70er Jahre mit der Umweltbewegung, der Friedensbewegung und der Emanzipationsbewegung drei wichtige, inhaltlich determinierte "Keimzellen". Die Piraten speisten sich lediglich aus einer Kritik an Staatseingriffen im Internet. Daraus suchten sie offenbar zunächst zwei Wege zu beschreiten 1. die Profilierung als "Bürgerrechtspartei", 2. die Profilierung als "Protestpartei". Ich bezweifle ausdrücklich, dass es für eine reine "Bürgerrechtspartei" einen Markt gibt. Erfolgversprechender erscheint die Positionierung als intellektualisierte Protestpartei. Allerdings ist das Wählerpotenzial dafür sehr fluide, wechselt also gerne. Erfüllen Protest-Parteien nicht die Erwartungen, die sie erweckt haben, halten sie also einem Realitätscheck nicht stand, werden sie erbarmungslos abgestraft. Hier findet sich möglicherweise eine Parallelität zur FDP nach 2009, die aber den Vorteil hat - wenn auch unvollkommen - eine der drei großen geistesgeschichtlichen Strömungen zu vertreten. Nichtsdestotrotz bleibt es m.E. die einzige Chance der Piraten, sich als Protestpartei zu verorten, gewissermaßen als Volkspartei der Jüngeren und dabei inhaltlich diffus zu bleiben. Denn dass die inhaltlichen Konzepte überzeugender werden als die der "Etablierten" ist für kaum einen Bereich zu erwarten. Für die Piraten gibt schlicht keine inhaltliche Marktlücke. Für die Existenz der Piraten kommt bedrohlich hinzu, dass der klassische Durchschnitts-Nerd und das klassische Durchschnitts-Mitglied einer Neupartei in der Regel eben kein besonders sozialkompetentes Wesen ist. Das mag bei den Grünen ähnlich gewesen sein... nur hatten die eben wirkungsmächtigere gesellschaftliche Strömungen hinter sich, so dass sie sich allmählich etablieren konnten.

In Offenbach schätze ich die Kollegen der Piraten durchaus. Ihr aktuelles Bemühen mit einem Bürgerentscheid, die Klinik-Privatisierung zum Scheitern zu bringen und damit automatisch eine Insolvenz zu verursachen, obwohl sie noch vor einem Monat eine Privatisierung besser fanden als weiteres herum dilettieren der Kommunalpolitik, zeigt, dass sie sich zwischen Verantwortungsethik und Populismus noch nicht entschieden haben.

2 Kommentare:

  1. Lieber Oliver,

    Danke für die warmen Worte,
    Jedoch möchte ich das etwas geraderücken - WIr haben gegen den Abbruch des Markterkundungsverfahren gestimmt, denn wir haben dafür schon viel Geld ausgegeben, und das Ergebnis hätte uns interessiert. Wir haben auch den Zorn des Regierungspräsidenten erwartet und befürchtet. Das heißt aber nicht, wir wollten noch vor einem Monat das Klinikum verkaufen.
    Ob eine Insolvenz im Falle eines Bürgerentscheides wirklich automatisch kommt steht alleine in der Verantwortung von RP und seines Dienstherren Innenministers. Vielleicht werden sie sich noch anders überlegen, bis dahin ist ja auch das Klinikum-Verbund schon konkreter als Alternative da. Und selbst aus einer Insolvenz heraus würde es nicht verkauft werden dürfen, zumindest drei Jahre lang. Der Weg wäre also die Fortführung des Sanierungskurses. Wir haben uns zum Unterstützung des Bürgerbegehrens aus der Verantwortung der Offenbacher Einwohnern und den Beschäftigten am Klinikum entschieden. Leicht war das nicht.

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  2. Offenbach-Post schrieb: "Es sei ein Fehler gewesen, aus der Markterkundung auszusteigen und nur auf eine Karte zu setzen, stimmt Freier den Liberalen zu. Von Privatisierung als Alternative redet er nicht. Das wagt FDP-Mann Stirböck: Den Patienten sei’s egal, was auf dem Briefkopf stehe, wenn sie nur bestmöglich versorgt würden. Pirat Helmut Eisenkolb warnt davor, dass mit dem Klinikum Wahlkampf gemacht werde: dann lieber ein ordentlicher Privater als kopflose kommunale Steuerung."
    http://www.op-online.de/nachrichten/offenbach/abenteuerliche-zustaende-2569110.html
    Also nicht die Vergangenheit verdrängen!!!

    Ihr könnt natürlich versuchen, die Verantwortung für eine Insolvenz an die Kommunalaufsicht abzuschieben - wenn auch die Kommunalaufsicht die Schulden nicht gemacht hat und nun wirklich mehrfach die Stadt schriftlich gemahnt hat. Die Politik in Offenbach hat aber die Möglichkeit die Insolvenz zu vermeiden - mit einem Verkauf, den wollt ihr aber torpedieren, obwohl ihr noch vor etwa einem Monat ihn nicht als des Teufels empfunden habt. Wenn Du Dir die Vereinbarung zwischen Stadt und Land durchliest, wirst Du feststellen, dass es sich niemand "vielleicht" anderes überlegen wird, wie Du in den Raum stellst. Das ist die nächste Fata Morgana in dieser Debatte, ein Wunschtraum. Ihr macht Hoffnungen, von denen Ihr wissen müsstet, dass sie irreal sind.
    Also: Bei Nicht-Privatisierung und einem JA zu Eurem Bürgerentscheid kommt die Insolvenz. Dieses Szenario kann man in der Theorie gut finden, absurd ist aber die Vorstellung, es ginge dann milder aus. Das Gegenteil wird der Fall sein. Das ist die brutalstmögliche Sanierung. Wie gesagt, das kann man in der Theorie gut finden. Ich befürchte nur, die guten Mitarbeiter werden angesichts eines solchen Zustandes schnell die Fliege machen. Ob in diesem Fall der Verkaufserlös annähernd so hoch sein wird, wage ich zu bezweifeln, von der übrig gebliebenen medizinischen Leistungsfähigkeit mal gar nicht zu sprechen. Das ist Harakiri. Selbst wenn Deine zweite Fatamorgana, dass das Klinikum am Ende einer dreijährigen Phase Teil eines kommunalen Verbundes sein wird, stimmten sollte, bleibt dann nur noch eine Hülle des jetzigen Klinikums übrig. Ihr bietet jetzt jedem mit Euren "vielleichts" einen Wunschtraum an: den einen, dass die Kommunalaufsicht weich wird; den anderen den Kommunalverbund nach Insolvenz; dritten eine Radikalsanierung, die sich ökonomisch auf den ersten Blick vielleicht gut anhört, aber praktisch verheerend wirken wird. Eure Angebot fällt durch den Realitätscheck. Wunschträume und "Vielleichts" helfen jetzt nicht weiter. Im Auswahlmenü gibt es jetzt nur Privatisierung oder eine schwer steuerbare Insolvenz. Kalkuliertes Risiko oder Harakiri. Ihr müsst Euch entscheiden. Alles andere ist Wunschkonzert oder Nebelmaschine auf höchster Stufe. Ja, alles ist schwer, auch Verantwortung zu tragen und zwischen Alternativen auszuwählen, die nicht befriedigend erscheinen. Aber aus „Verantwortung für die Mitarbeiter“ für Bürgerbegehren und damit die Insolvenz – gut dass das der Betriebsrat anders sieht…

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